Unser Wohlstand ist in ernster Gefahr

Wirtschaftsminister Robert Habeck hat heute den Jahreswirtschaftsbericht vorgestellt. Die Lage sei besser als erwartet, so das Fazit. Unser Gastautor sieht allerdings keinen Grund für Entwarnung: Mit der demographischen Entwicklung komme ein gewaltiger Sturm auf die deutsche Wirtschaft zu.

Gastbeitrag von Prof. Dr. Joachim Weimann im Cicero.

Dass Deutschland ein demographisches Problem hat, wissen wir schon lange. Schon Norbert Blüm sah sich genötigt, immer wieder zu betonen, dass die Rente sicher sei, weil schon zu seinen Zeiten absehbar war, dass die Bevölkerungsentwicklung nicht gerade ein Freund des umlagefinanzierten Rentensystems ist. Seit dieser Zeit ist der demographische Wandel im öffentlichen Bewusstsein fest mit der Rentenfrage verknüpft. Nicht zu unrecht, denn wenn erst einmal alle Babyboomer in Rente sind, könnte der Bundeszuschuss, den die Rentenversicherung braucht, um finanziell klar zu kommen, die Hälfte des gesamten Bundeshaushalts in Anspruch nehmen. Derzeit sind es „nur“ 20 Prozent.

Das tückische an der demographischen Entwicklung ist, dass sie uns lange Zeit eine demographische Dividende beschert hat und deshalb von einem Problem nicht die Rede sein konnte. Die Babyboomer tragen die deutsche Wirtschaft bis heute und es gab vergleichsweise wenig Alte und Junge, die nicht mehr bzw. noch nicht erwerbstätig waren und die deshalb alimentiert werden mussten. Unter anderem deshalb ist der Beitrag zur Rentenversicherung in den letzten Jahren eher gesunken als gestiegen. Aber jetzt erreichen die Babyboomer die Altersgrenze und sagen dem Arbeitsmarkt scharenweise „Goodbye“.

Mangel an Arbeitskräften

Die Entwicklung des Bundeszuschusses zeigt, welche Dynamik die anstehende Verrentung der Babyboom-Generation entfaltet. Was oft übersehen wird, ist, dass diese Dynamik nicht nur die Rentenversicherung betrifft, sondern vor allem auch den Arbeitsmarkt – und davon geht eine noch größere Gefahr aus, als von der stark steigenden Rentenlast. Ein gängiges Narrativ dazu sagt, dass die Renten leicht zu finanzieren sind, wenn die Produktivität der Beschäftigten entsprechend steigt. Ist damit zu rechnen, wenn die Anzahl der Beschäftigten dramatisch zurückgeht? Die Antwort hängt davon ab, wie wir mit dem Schock, der auf uns zukommt, fertig werden.

Schon heute suchen viele Unternehmen händeringend nach Arbeitskräften. Vor allem qualifizierte Menschen sind schon jetzt Mangelware. An den Universitäten drängeln sich die Personalmanager und buhlen um die Absolventen fast aller Studiengänge, und die Handwerksbetriebe können schon lange nicht mehr alle Lehrstellen besetzen. Aber das ist nur ein laues Lüftchen vergleichen mit dem Sturm, der in den nächsten Jahren den Arbeitsmarkt leerfegen wird. Dann wird sich der Mangel an Arbeitskräften als eine massive Wachstumsbremse erweisen. Und ohne Wachstum wird es sehr schwierig, das Wohlfahrtsniveau nicht nur der vielen Rentner zu halten.

Gezielte Einwanderungspolitik

Was könnte man dagegen tun? Es gibt drei Stellschrauben, an denen sich drehen lässt. Alle drei haben ihre Tücken. Als erstes ist die Lebensarbeitszeit zu nennen. Alle Rentenexperten sind sich einig, dass wir um eine Verlängerung nicht herumkommen. Das Problem: Alle wissen, dass wir länger arbeiten müssen, aber keiner will länger arbeiten.

Frankreich erlebt gerade eindrucksvoll, was passiert, wenn eine Regierung an dieser Stellschraube dreht. Auch wenn die Proteste in Deutschland sicher weniger massiv wären, zu einem Lieblingsthema der Politik wird sich die Arbeitszeitverlängerung sicher nie mausern. Die zweite Stellschraube ist die Einwanderung. Notwendig und hilfreich wäre in jedem Fall, wenn eine gezielte Einwanderungspolitik dazu führte, dass Deutschland in die Lage versetzt wird, weltweit nach qualifizierten Arbeitskräften zu suchen.

Man kann sich sehr viele Maßnahmen vorstellen, die dazu geeignet wären: Anwerbe- und Qualifikationszentren in anderen Ländern, intensive Betreuung und weitgehende Hilfestellungen bei der Integration im Inland, eine offensive Aufklärung der deutschen Bevölkerung über die Vorteile, die mit steigender Migration verbunden sind, und vieles andere mehr. Aber die Migration ist ein Thema, das in Deutschland seit langem eher negativ besetzt ist und bei dem Vorurteile tief verankert sind. Diese anzupacken hat die Politik in der Vergangenheit immer wieder versucht, ist aber oft gescheitert.

Die dritte Stellschraube ist der „arbeitssparende technische Fortschritt“. In der Vergangenheit stand eben dieser oft im Verdacht, Jobs zu vernichten und deshalb Arbeitslosigkeit zu verursachen. Dieser Verdacht hat sich nicht erhärtet. Im Gegenteil. In den letzten 15 Jahren, in denen der technische Fortschritt nun wirklich nicht zum Stillstand gekommen ist, stieg die Anzahl der Beschäftigten in Deutschland kontinuierlich an und ist heute auf einem Rekordniveau. Dazu beigetragen hat die Tatsache, dass wir den technischen Fortschritt dazu genutzt haben, die Arbeitszeit zu verkürzen. Damit dürfte es vorbei sein – siehe oben. Wir müssen einen technischen Fortschritt erzeugen, der dazu führt, dass die Arbeit, für die wir keine Menschen mehr haben, von Maschinen und vor allem von Computern gemacht wird.

Die Drohung ernst nehmen

Ein zentrales Element ist dabei die Digitalisierung. Leider ein Thema, bei dem Deutschland auch nicht gerade eine gute Figur macht. Im Gegenteil. Digitalisierung heißt bei uns oft nur, dass ein Formular in ein PDF umgewandelt wird. Ein wichtiger Grund dafür, warum wir auf diesem Gebiet nicht wirklich vorankommen, ist der Konflikt zwischen Digitalisierung und Datenschutz. Im Zweifelsfall gewinnt den letzterer. Ein sehr beeindruckendes Beispiel dafür liefern in diesen Tagen die Finanzämter bei der Neuregelung der Grundsteuer. Die Besitzer von Immobilien müssen ihre Grundsteuererklärung selbst anfertigen, obwohl die Finanzämter alle Daten, die dazu notwendig sind, in ihrem Besitz haben.

Aber sie dürfen sie nicht verknüpfen und sind vermutlich technisch dazu auch gar nicht in der Lage. Im Ergebnis müssen sich Millionen Bundesbürger mühsam Fähigkeiten aneignen, die sie genau einmal in ihrem Leben brauchen – bei dem Versuch, die entsprechenden Formulare richtig auszufüllen. Nein, Digitalisierung ist wirklich noch nicht unsere Sache. Aber wir müssen sie ganz schnell dazu machen, denn der technische Fortschritt ist vermutlich unsere schärfste Waffe gegen den Wohlstandsverlust, der uns droht. Wir müssen anfangen, diese Drohung ernst zu nehmen.